Dienstag, 7. Dezember 2021

1001 Miglia - ein langer Endspurt

 Scaperia- Parabiago

520 km- kaum Höhenmeter





Noch einmal ca. 600 Hm waren jetzt am frühen Morgen noch zu überwinden.

Der letzte Anstieg- danach fuhren wir in die Poebene- danach waren nur noch Brücken zu überwinden. 10 Kilometer noch bergan. Ich war einigermaßen erfrischt und warum nicht jetzt schon an den Endspurt denken.

Vor diesen 500 Kilometern hatte ich einen großen Respekt- viel mehr als vor dem, was hinter uns lag. Berge fahre ich gerne, Berge haben ein Ende.....Abwechslung....

Dazu kamen die mir bekannt schlechten Straßen. 

Ich musste mich also irgendwie motivieren, vielleicht sogar überlisten.

Gut war auf jeden Fall der Respekt, den ich hatte.

Klaus war am Vortag immer ca 4 h vor mir gewesen und war in Scaperia vielleicht  3 h vor mir los. Vielleicht würde ich Klaus noch einmal sehen, wenn ich jetzt zum Endspurt ansetzte!? Von meiner sportlichen Leitung erfuhr ich dann, dass er 3 h 6 ' vor mir in Lugo dem nächsten Kontrollort war. Hier hatte ich zuvor noch an einer Tankstelle meine Kette geölt.

>Frag mal hierzulande an einer Tankstelle nach Öl, wenn man mit dem Rad kommt....der Tankwart füllte mir auf Anfrage ein kleines Glas mit Motorenöl und stellte es auf den Werkstattboden.

An der Kontrollstelle hielt ich mich nicht lange auf, füllte alle meine Flaschen, denn nun würde es heiß werden. Vom nächsten Abschnitt erinnere ich nur lange gerade Straßen, Hitze, Brücken über Schnellstraßen oder Bahngleise und einmal ein Stück Schotterstraße, welche als Option angeboten wurde. Natürlich fuhr ich diese.

Nun fing ich an, mich selbst zu überlisten: 

Jeder kennt sicher diese Momente, auf langen Geraden, wo man mal aufhören möchte zu treten- es mal kurz rollen zu lassen- der Müdigkeit, dem Antrieb nachzugeben. Immer wenn ich diesen Moment spürte, machte ich genau das Gegenteil- ging aus dem Sattel und beschleunigte.

Das funktionierte tatsächlich und ich verspürte Lust dabei, so mit einem recht gutem Tempo voran zu kommen. Diese Art zu fahren, behielt ich tatsächlich fast den ganzen Tag bei und erst am Abend verließ mich die Kraft dazu.

Auch hatte ich ja die Idee, Klaus noch einmal einzuholen, wenn er in der Nacht noch einmal schlafen würde, zum Beispiel in Colorno !?

Massa Finalese war dann der nächste Kontrollort. Um dorthin zu gelangen fuhren wir quasi einmal hin Richtung Westen, um dann Richtung Osten auf einem Radweg wieder zurück zu fahren.

Gut, dieser bot ein wenig Abwechslung
, schon allein wegen der Crosseinlagen. Aber ich wurde doch unweigerlich an 2016 erinnert.

Ich fragte mich, warum wir zunächst auf breiten, öden Straßen eine lange Anfahrt nahmen, um dorthin zu gelangen.

Bald kamen wir an den Po und fuhren quasi auf der "Promenade" entlang dieses großen Flusses. Immer wieder schöne Ausblicke boten etwas Abwechslung. Ich fuhr auf zwei Belgier auf und suchte etwas Konversation- jedoch sie kamen aus dem französisch sprechenden Teil. Auch waren sie gleich ein paar Radlängen zurück, als es ein paar  Crosseinlagen gab !??

Pieve di Coriano, der nächste Kontrollort, war von Alpi4000 bekannt. Hier bei dieser Sportstätte hatte es mir 2018 schon sehr gut gefallen: ein Fest, des ganzen Ortes erwartete hier uns Radfahrer- gutes Essen, Schatten unter Bäumen....ein Ort, den man schwerlich wieder verlassen möchte.

Ich verlasse Pieve kurz vor Sonnenuntergang, um wieder zum Po zu gelangen.

Kaum bin ich dort auf der Uferstraße bekomme ich einen Platten. Ohje, nicht hier! Es ist jetzt die Zeit der Dämmerung- ich stehe kaum, da habe ich 1001 Mücke am ganzen Körper. Ich pumpe deshalb nur kurz und fahre noch ca. 2 Km bis zum nächsten Ort- hoffe, dass dort weniger Mücken sind.

Dies ist leider nicht der Fall an der Bank im Ort, an dem ich in Eile den Schlauch wechsele. Schnell sitze ich wieder auf dem Rad und genauso schnell komme ich auch wieder zum Stehen, denn der Schlauch platzt mit einem lauten Knall.

Die Mücken lassen sich davon nicht verjagen. Ich habe noch den Schlauch, den ich in San Quirico geflickt hatte, doch der will die Luft nicht halten. Wohl doch ein Snake-Bite gewesen....

Ich bin jetzt ziemlich verzweifelt. Gefräßige Mücken machen mich immer sehr nervös.  Ich müsste nun flicken und würde dabei langsam aber sicher meines Blutes beraubt. Keine gute Aussicht- doch da kommt Rettung.

Die zwei Belgier kommen nun vom Deich herunter in den Ort. Ich bekomme gleich einen neuen Schlauch angeboten. Sie haben einige davon. Ich "Profi" meinte Gewicht sparen zu müssen und führte normalerweise nur einen Ersatzschlauch mit.

Die Belgier wollten sogar helfen und warten, erkannten aber bald, dass dies kein guter Ort dafür war und fuhren weiter.

Dieses Mal wechselte ich den Schlauch sehr sorgfältig aber dennoch zügig. 

Als ich aus dem Ort fuhr- endlich wieder Fahrtwind, durchfuhr ich große Schwärme von Mücken....nur nicht noch einmal platt fahren. Mein guter Lauf des Tages war dahin und ich sorgte mich sehr darum, die nun anstehenden Schotterstraßen, die ich sonst so liebe, heil zu überstehen. Es war nun sehr dunkel und einsam auf der Landstraße und ich war froh, als ich später wieder durch etwas zivilisiertere Gegenden kam. Nun entspannte ich auch wieder, fing an die Nachtfahrt wieder zu genießen und dachte, diese knapp 300 km des Tages doch recht gut bewältigt zu haben.

Es war nun nicht mehr weit bis Colorno. Ich traf einen Italiener mit dem ich eine Weile zusammen fuhr. Wir durchfuhren einige Orte und dann verloren wir uns.

Ich hatte ein wenig die zeitliche Orientierung verloren- wurde auch schon wieder müde und beschloss in Colorno zu schlafen. Auch hatte ich mir vorgestellt, so etwas wie eine Schlafgelegenheit zu finden und Klaus wäre dann auch dort.

In Colorno auf dem Piazza Guiseppe Garibaldi fand ich dann das Bild schlafender Randonneure auf Stühlen vor einer Bar. Hier bekam ich einen Stempel ins Kontrollbuch. Eine Schlafgelegenheit gab es nicht. Ich versuchte es auch, wie die anderen Randonneure, indem ich zwei Stühle zusammenschob. Als ich damit keinen Erfolg hatte, schaute ich mich auf dem Platz um und fand einen steinernen Bankvorsprung an der Mauer gegenüber der Bar. Breit genug, um die Matte auszulegen. Es war recht frisch hier und auch, weil es ein öffentlicher Platz war, behielt ich meine Radklamotten an. Ich wachte dann später auch auf, weil ich fror. Es zog ein kalter Wind hier an der Mauer. 

Gut, fahr ich eben weiter. Etwas Schlaf hatte ich bekommen. Nun hatte ich das Problem, dass ich eine Toilette suchte, fragte gar einen Polizisten, der hier nach dem Rechten schaute. Inzwischen lagen sehr viele Randonneure einfach auf dem Boden vor der geschlossenen Bar.

Also auch kein Kaffee am Morgen. Ich rollte dann einfach weiter auf dem Track über die Brücke. Über das Kopfsteinpflaster erinnerten mich meine Handgelenke, dass ich die Handschuhe liegen gelassen hatte. Diese fand ich vor der Bar als diese gerade wieder öffnete. Was für ein glücklicher Zufall. Nun bestellte ich einen großen Dopio- Amerikano und fühlte mich gleich bereit für die finalen Kilometer.

Hinaus in die dunkle, ländliche Ebene. Kurz hinter Colorno bog der Track von der Hauptstraße ab auf Feldwege. Vor mir ein anderer Fahrer überlegte nicht lange und fuhr zurück auf die Straße. Ich suchte noch etwas nach dem richtigen Weg, folgte dann aber auch, denn auf unasphaltierten Feldweg hatte ich jetzt keine Lust. Das Rücklicht des anderen Fahrers sah ich jetzt nicht mehr.

Weiter fuhr ich nach Gefühl, denn ich habe ja keine Karte auf dem Navi. Am Ende waren es nur 3 Kilometer parallel zum Track. 

Klaus hatte natürlich nicht in Colorno geschlafen. Den ganzen Tag war die Distanz zwischen uns etwa 3 h gewesen. Klaus musste also wohl auch eine Art Endspurt gemacht haben. Da ich die zeitliche Orientierung etwas verloren hatte, helfen die Zahlen an den Kontrollstellen im Nachhinein. Fombio. den nächsten Kontrollort erreichte Klaus etwa 7,5 h vor mir- ich hatte also wahrscheinlich 4,5 h  in Colorno pausiert. Im Ziel war Klaus etwa 5,5 h vor mir. Er hatte dort in Fombio eine längere Pause gemacht. 

Nach etwa 50 Kilometern passierte mir etwas, was sonst eher nicht vorkommt- ich verpasse eine Abfahrt und bin 3 km weiter, bevor ich es merke.....mangels Karte, wende ich lieber, bevor ich ansonsten an eine Brücke oder einen Kanal komme, den ich nicht überqueren kann.

An einer Bar halte ich für einen starken Kaffee. Dort treffe ich zwei Randonneure, ein Päarchen, aus Baden- Württenberg und wir fahren gemeinsam los. 

Mit ihm unterhalte ich mich sehr angeregt, eine nette Abwechslung, bis sie mit Schwung von hinten kommt und voraus fährt. Ihr ist es zu langsam so und unsere Unterhaltung ist aprupt beendet. Ich versuche nicht lange mitzuhalten und fahre alleine weiter. Später in Fombio machen die beiden lange Pause, jedenfalls länger als ich. 

Bevor ich endlich Pavia erreiche sind ca 45 Kilometer schnurgerade Hauptstraße zu fahren. Es ist inzwischen wieder sehr heiß geworden und der Straßenbelag läßt meine Unterarme, Handgelenke schmerzen. Auch das Sitzen wird langsam unbequem....die Körperspannung lässt wohl nach und ich kann mich auch nicht mehr überlisten. Im Gegenteil, ich sehne nun langsam das Ende herbei, ca 70 km vor dem Ziel. Ich halte noch einmal an einer Bar und bestelle eine Cola und einen Grappa! 

Zum Glück durchfahren wir nun eine etwas schönere, abwechslungsreichere Landschaft, während wir entlang des Ticino Richtung Westen fahren. Noch einmal würden wir über die Pontonbrücke fahren, wie auf dem Hinweg. Diese überquert den Fiume Ticino, nicht den Po, wie ich immer gedacht hatte.

Hier will ich ein Eis essen, finde die bekannte Bar aber geschlossen. Auf der anderen Seite werde ich fündig, nehme mir Zeit für diese Pause. 

Der Track führt nun lange auf kleinen Wegen durch Reisfelder entlang eines Bewässerungskanals. Sehr hübsch. Nur sehr wenig Schatten gibt es hier und ich werde schon wieder müde. Hier ist es nett- warum nicht ein kleines Mittagsschläfchen machen. Ich finde etwas Schatten unterhalb eines Schildes- schlafe wohl sofort ein.

Als ich aufwache, fährt gerade Udo vorbei. Ich springe schnell aufs Rad und hole ihn ein. Bis zum Ziel bleiben wir nun zusammen - lernen uns kennen und unterhalten uns angeregt. Meine Körperspannung ist plötzlich wieder da und auch das Tempo steigt langsam zu einem Endspurt. 

Udo kennt Klaus von Berlin-Wien-Berlin. Wir fahren entlang eines Flusses- sehr schön dieses Finale. Ich denke es ist der Ticino, und wundere mich nicht darüber, dass dieser so viel Wasser führt. Erst kürzlich war ich ja noch vom Nufenen hinunter in das Ticinotal gefahren und es hatte dort das ganze Wochenende stark geregnet. Wie lange braucht das Wasser wohl , um von dort hierher zu kommen.

Wir treffen noch zwei Italiener und gemeinsam sprinten wir dem Ziel entgegen- eigentlich Quatsch, uns am Ende noch so kaputt zu fahren....macht aber Spass.

Im Ziel bekommen wir die Medaille, dieses Mal in Gold, vermutlich weil die MM ja ursprünglich im Olympischen Jahr 2020 stattfinden sollte.

Die Urkunde mit unserer Finisher- Zeit wird gedruckt und dann bekommen wir noch Plätzchen von einem Sponsor.

Udo und ich wollen nun anstoßen auf unseren Erfolg und treffen gleich auf Klaus, Tom und Evelyn, die auch schon mehrfach angestoßen hatten.

Ein freudiges Wiedersehen. Alle aus unserer Gruppe waren heil durchgekommen- nur Thomas war noch unterwegs und kam wenige Stunden nach mir ins Ziel.

War dies nun mein letztes Mal, dass ich in dieser Form 1000 Meilen gefahren bin?

Die nächste Mille Miglia ist 2023, habe ich gehört!



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