Bolsena - Scarperia
300 km- 4700 Hm
Ich wachte ohne Wecker auf und bis zum Sonnenaufgang war es noch Zeit.
Leise und ruhig versuchte ich meine Sachen zu packen. Um mich herum schliefen noch fast alle. Anschließend setzte ich mich auf die Treppen im Eingang mit einem Kaffee und versuchte langsam wach zu werden. Ein seltsamer Abend war es gewesen gestern und das hing mir noch etwas nach. Irgendwann realisierte ich, dass jemand auf einem Stuhl vor mir saß und mich anguckte. Es war Pietro und er guckte unendlich traurig. Er sagte, Werner wäre weg- sie waren verabredet um diese Zeit weiter zu fahren aber er konnte ihn nicht finden.
Hatte Werner sich aus dem Staub gemacht!? Mir war gleich klar, was nun passieren würde und ich sagte zu Pietro, ich bräuchte noch ein paar Minuten.
Als ich dann zu meinem Rad ging, um zu packen, stand Pietro schon abfahrbereit;
sagte aber kein Wort.
Gemeinsam rollten wir noch im Dunklen hinaus aus Bolsena, hinein in den ersten Anstieg des Tages.
Wir hatten nun ungefähr die Hälfte der MM hinter uns- die Hälfte mit den meisten Höhenmetern. Gleichmäßig ruhig aber ohne lange Pausen wollte ich diese Tagesetappe fahren. Vorbei am Lago Trasimeno mit den dort bekannt schlechten Straßen, vorbei an Arezzo, dessen Hausberge ich von unserem Sprachkurs noch gut in Erinnerung hatte, und später am Abend hinein in den langen Anstieg zum Dach der MM auf 1020 m. Pausieren wollte ich auf jeden Fall am Lago Trasimeno und in Arezzo und natürlich an den offiziellen Kontrollstellen aber eben nur kurz. Würde ich Klaus und Thomas wieder sehen?- wahrscheinlich nicht- denn beide waren sicher schon weit voraus. So in Gedanken fuhren wir durch den "Parco del monte Peglia e selva di Meana". Pietro fuhr manchmal mit kleinem Abstand, manchmal dicht hinter mir. Wir redeten kaum und ich empfand das gemeinsame Fahren als sehr angenehm.
Dieser bewaldete Naturpark in Umbrien war unglaublich trocken und viele Bäume hatten vertrocknete, braune, tote Blätter!
Das Motto "The green reverse" fiel mir wieder ein.
In der Nähe von Orvieto hielten wir für einen ersten starken Kaffee- viele andere Randonneure hielten hier. Später, nach ca. 70 km, in Marsciano machten wir unsere erste Pause und es stellte sich heraus, dass Pietro und ich durchaus miteinander kommunizieren konnten. Alter, Familie, Beruf.....Pietros Pause erschien mir planvoll und alsbald stand er wieder abfahrbereit an seinem Rad.
Ohne größere Anstiege führte der Track nun gen Norden zum Lago Trasimeno.
Langsam wurde es wieder heiß und ich merkte, dass Pietro jetzt öfter mit größerem Abstand hinter mir fuhr. Pietro hatte kein Navigationsgerät und auch das Roadbook des Veranstalter nicht am Lenker. Lediglich handschriftlich standen Orte auf einem Zettel, den er auf seine Lenkertasche geklemmt hatte. Ich schaute mich dann öfter mal nach ihm um. Kurz vor dem Lago hielt er einfach unter einem Baum an und blieb stehen. Es war also die Hitze, die Sonne. Pietro konnte mein Tempo nicht mehr halten. Am See, kurz vor Passignano, hielt er ein weiteres Mal, und machte keine Anzeichen weiterzufahren. Ich stellte eine Eispause in Aussicht- Anhalten ohne Pausieren macht für mich keinen Sinn. In Passignano, dem Kontroll- und Bagdrop- Ort vergangener Touren, wollte ich sowieso pausieren. Am Ende fuhr ich einfach weiter und wartete an einer Gelateria am Ortsende.
Pietro kam und wir genossen ein sehr leckeres Eis mit Ausblick über den See.
Im Schatten war es gerade aushaltbar- so heiß war es nun. Bevor wir weiter fuhren, wollte Pietro Selfies von uns mit dem See im Hintergrund- so viel Zeit gönnten wir uns noch...schließlich ist dieser Durchfahrtsort für viele Menschen hier ein beliebter Urlaubsort.
Bis zum nächsten Kontrollort Camucia waren es nur etwa 20 km, doch diese zogen sich zäh wie Gummi. Es war extrem heiß und Pietro ließ immer wieder abreißen und ich wollte ihm nicht so kurz vor der Kontrollstelle davon fahren.
Ich ahnte schon, dass sich unsere Wege dort trennen würden. Als er kurz vor der Kontrollstelle abermals anhielt, fuhr ich dann schon mal vor.
Hier gab es wieder sehr leckeres Essen, u.a. wieder den Brotsalat. Als Pietro aß, erfrischte ich mich unter der Dusche, füllte meine 3 Trinkflaschen und fühlte mich sehr gut. Ich wollte dann auch bald los und schaute nach Pietro. Er war über sein Essen eingeschlafen. Ich sagte ihm, ich wolle jetzt los und er wollte mit. Seine Augen fielen aber bald wieder zu. Nun hatte ich ein Problem, denn ich wollte nicht einfach so abhauen, wie es möglicherweise Werner gemacht hatte.
Ich stellte also mir und ihm ein Zeit- Ultimato und wartete am Rad.
Er kam nicht, ich schaute nach und stellte ihm ein weiteres Ultimato und er versicherte mit fahren zu wollen....
Es fiel mir nicht leicht, ohne ihn weiter zu fahren aber alles andere machte keinen Sinn.
Ich musste noch lange darüber nachdenken bis es in den nächsten Anstieg hinein ging, der mir relativ leicht fiel. Offensichtlich hatte ich mich gut erholt bei der letzten Kontrollstelle. Auch kannte ich diese zwei Anstiege in Folge ganz gut, denn dies war der Hausberg von Arezzo, wo ich 2016 nicht nur die italienische Sprache trainiert hatte. Die Abfahrt genoss ich, denn ich wusste hier konnte ich laufen lassen. Arezzo wurde östlich umfahren. Ich hielt Ausschau nach einem Cafe, Gelateria oder so. Erst an der Ortsdurchfahrt fand ich dann eine Tankstelle, wo ich etwas pausierte. Bis zur nächsten Kontrollstelle wurde die Strecke sehr wellig mit teilweise sehr knackigen kurzen Anstiegen. Ich teilte mir die Strecke mit zwei Frauen, Randonneurinnen, die mich bergauf überholten, nachdem ich sie bergab meinerseits überholte. Dieses Spiel wiederholte sich bis kurz vor Figline Valdarno, also im Tal des Arno. Hier ab es den zweiten Bagdrop, meine Tasche mit frischen Klamotten, Riegeln etc. Ich duschte, aß, sortierte...alles etwas mit Eile, denn ich wollte unbedingt noch im Hellen in den Anstieg hinein. Pietro kam, als ich gerade fahren wollte. Ich sprach ihn an und er meinte, er habe mich nicht bremsen wollen.
Ich war kaum in den Anstieg hinein gefahren, da hielt ich noch einmal, um mit meiner sportlichen Leitung zu telefonieren. Es war jetzt auch dunkel geworden.
Der Anstieg war tatsächlich recht lang. Ich bekam schon wieder Hunger und hielt in einem Ort, der wunderschön im Hang gelegen war und von dem aus man über das erleuchtete Florenz blicken konnte. Ich fuhr in die Nacht hinein mit der Gewissheit mein Tagesziel Scarperia zu erreichen- wann, das war mir in dem Moment ziemlich egal. Ich stellte mich auf eine Nachtfahrt ein und fuhr entspannt bergan. Ich fuhr auf einen Bremer Randonneur auf, sprach ihn an und weckte ihn wohl. Denn er redete nun sehr viel und zog dabei das Tempo merklich an, bis es mir zu schnell wurde. Oben angekommen war ein Naturpark, Parco Vallombrosa, der gut besucht war. Wahrscheinlich wegen der nicht weit entfernten Großstadt. der Park und vor Allem die Parkbänke hatten nun eine magische Anziehungskraft auf mich. Warum nicht hier schon schlafen und am kommenden Morgen hinunterrollen zur Kontrollstelle!? Ich war wohl sehr müde geworden. Kaum hatte ich diese Idee, schon hatte ich meine Matte und den Schlafsack auf eine der Bänke ausgebreitet. Ich schlief wohl sofort ein aber nicht für lange. Denn es zog hier ein kalter Wind über den Berg. So konnte und wollte ich nicht schlafen.
Also, schnell wieder alles zusammen gepackt und weiter. Alle Gäste des Parks waren nun fort und ich alleine auf dieser Bergkuppe. In der Abfahrt nahm ich Fahrt auf und plötzlich stand da ein großes Wildschwein am Straßenrand und versetzte mir einen ordentlichen Schrecken.
Nun war ich wieder wach. Vorsichtig nun nahm ich den Rest der Abfahrt- immerhin 18 km mit 900 m Höhendifferenz. Die restlichen 30 flachen Kilometer fuhr ich dann wieder im Halbschlaf und sehnte die Schlafgelegenheit herbei.
Als ich mich gerade in meinen Schlafsack verstecken will, ich mache das immer im Stehen, steige ein und ziehe ihn dann hoch, um mich auf die zuvor bereit gelegte Matte zu platzieren, muss ich wohl Klaus einen ordentlichen Schrecken eingejagt haben. Wieder einmal will Klaus gerade aufbrechen, als ich mich zum Schlafen lege. Ist das noch Zufall. Da mein Schlaf- Innensack weiß ist, sieht es wohl so aus, als ob es ein Leichentuch wäre. Den ganzen Tag war Klaus etwa 4 h vor mir her gefahren.
Und Thomas?- er hatte in Bolsena lange geschlafen und kommt gerade an, als ich gegen 5 Uhr aufbrechen will.
hier geht es bald weiter
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