Mittwoch, 24. August 2011

Bericht zum Alpenbrevet



Alpenbrevet
Bergfahrer oder nicht Bergfahrer, das war die Frage.

Als ich vor ein paar Jahren den Schweizer aus unserem Eutiner Radtreff kennenlernte und wir uns austauschten über interessante Radmarathons, fiel zum ersten Mal der Name „Alpenbrevet“, den Detlef vor 28 Jahren als Goldtour gefahren war. Da war ich noch weit entfernt von einem Bergfahrer, fiel regelmäßig aus Gruppen zurück, sobald es nur leicht bergan ging, und bezeichnete mich eher als Rolleur- denn in irgendeiner Disziplin muss man ja gut sein. Wir nahmen uns vor diese Tour in den Alpen irgendwann mal zu fahren, damit Detlef mir die Pässe zeigen kann, bei denen er jeden Meter kennt.

Nach der Mille Miglia 2010 sollte das folgende Jahr ruhiger werden, PBP stand nicht auf dem Zettel, also suchte ich nach einem alternativen Ziel, denn so ganz ohne sportliches Ziel wollte ich nicht durchs Jahr fahren. Da fiel mir wieder der Alpenbrevet ein und dass ich, spätestens seit Michael Rasmussen bei der Tour die Berge hochflog, auch ein Bergfahrer werden wollte. Detlef war gleich begeistert- unser Ziel stand und ich informierte mich im Internet. Dabei stellte ich fest, dass es inzwischen nicht nur die Gold- Tour, vergleichbar mit dem Ötztaler oder der La Marmotte in Frankreich, gibt sondern auch eine Platin Version, die mein Langstrecken-Herz schneller schlagen ließ:
276 km mit 7000 Hm !!

Bei genauerem Hinsehen stellte ich dann fest, dass es für die Platin- Tour Zeitlimits gibt, die einen Schnitt von knapp 20 km/h festlegen. Detlef meinte dazu: das wird ganz knapp aber wir können das schaffen- ich war nicht überzeugt.
Und, um unseren Kampfgeist zu wecken, schlossen wir eine Wette bezüglich des ersten Limits in Airolo (km 86), wo sich nach 4, 5 h entscheiden sollte, ob man auf der Platin – Runde weiterfahren darf oder auf Gold umgeleitet wird.
Bis dahin wollten wir es rechtzeitig schaffen- den Rest auch in diesem Tempo weiter zu fahren, hielten wir beide nicht für möglich.

Beim diesjährigen Brevet zum Bungsberg fuhr ich mit Eckehard und Niko aus Wesseln- beide waren den Alpenbrevet schon mehrmals gefahren und nicht immer erfolgreich. Gerade im letzten Jahr verfehlte Niko auf dem Sustenpass, 37 km vor dem Ziel, das Limit um 5 Minuten und musste den Transponder und die Startnummer abgeben. Dies bestätigte mich darin, dass ich diesen Schnitt nicht würde fahren können. Immer wieder überlegte und rechnete ich.
Der Veranstalter „erlaubt“ einem aber auch ohne Startnummer weiterhin auf der Strecke zu fahren, man habe dann nur keinen Anspruch mehr auf Verpflegung und Service.
Will ich mich eigentlich zeitlich so unter Druck setzen oder will ich die Alpenpässe genießen?

Als es endlich so weit war, hatte ich folgenden Plan: bis Airolo wollte ich versuchen das Zeitlimit einzuhalten, anschließend würde ich ruhiger, mit Licht ausgestattet, darauf warten, dass der Besenwagen mich einholt und auf jeden Fall die ganze Strecke zu Ende fahren- oder war es doch möglich??

Gemeinsam mit Klaus vom FC St. Pauli fuhren wir am Donnerstag zunächst bis Zürich, um fest zu stellen, dass die Schweiz ein teures Pflaster ist ( Nudelauflauf 27€) dann weiter nach Meiringen, wo wir zunächst noch weitere Schleswig- Holsteiner trafen (Detlef und Wolfgang aus OH, Rüdiger aus NMS). Etwas günstiger speisten wir dann im Bistro eines Supermarktes und bauten später unsere Zelte auf. Der Campingplatz war voller Radfahrer- viele Holländer darunter.

Die Wetterprognosen für den kommenden Tag konnten besser nicht sein. (Sonne und 20-28° C)
Wir wollten möglichst weit vorne starten, um nicht am Start schon wertvolle Minuten zu verlieren. Die würden wir brauchen.
Klaus war gleich nach dem Start nach vorne raus- die anderen hatten wir nicht gesehen. Zügig fahren aber das eigene Tempo finden- nur nicht nervös machen lassen! Gar nicht so einfach; ständig werde ich von Gruppen überholt- ich bin zu langsam- scheiß Zeitlimit!- Blick auf den Tacho zeigt 10-11 km/h- das ist mein Tempo bei dieser Steigung- alles ist gut- wieder werde ich von einer großen Gruppe überholt- Scheiß Zeitlimit- Blick auf den Tacho…..
So geht das bis etwa der halbe Grimselpass gefahren ist- danach hat sich das Feld sortiert und auch ich kann einige Fahrer überholen, die wohl zu schnell angefahren sind. Ich finde meinen Rhythmus und es läuft gut. 2h 04 min brauche ich für den ersten Pass. Das ist schneller, als ich erwartet hatte. Puh, jetzt habe ich Luft.
Die rasante Abfahrt nach Gletsch, dann flacher bergab bis Ulrichen- ich fliege dahin bis zum Fuß des Nufenenpasses. Es geht gleich sehr steil rein und ich nutze meine kleinste Übersetzung (34/28), die ich bis oben nicht verändere. Gleichmäßig kurbele ich hoch- es läuft gut und nach 1 h 22 min bin ich oben an der Verpflegung, wo ich mich nicht aufhalte- nur eine von beiden Flaschen fülle, damit ich in Airolo nicht anhalten müsste. Die Abfahrt ist nicht so toll- die Fugen der Betonplatten, manchmal mit kleinen Huggeln, schlagen einem bei Tempo 60 fast den Lenker aus der Hand. Krampfhaft halte ich diesen und lasse nicht immer laufen- bremse das Tempo immer wieder auf 60 runter. Detlef erzählte mir später, dass er hier mit 90 km/h herunter gebrettert ist.

Airolo erreiche ich nach 4 h und 24 min. Ziel erreicht.

Nach Biasca folgt nun eine lange Abfahrt. Heftiger Wind von vorne bremst etwas.
Ich fahre ruhig- will regenerieren für den langen Anstieg zum Lukmanier.
Plötzlich höre ich, „Gerald häng dich rein“- Eckehard aus Wesseln kommt mit einer großen Gruppe von hinten. Gemeinsam machen wir ein gutes Tempo hinab bis zur Verpflegung in Biasca. Mein Tacho zeigt jetzt einen 23er Gesamtschnitt!! Wieder fülle ich nur meine Flaschen mit Wasser, denn bis zum Lukmanier will ich nicht pausieren.

Wenig später kann ich mich nicht mehr bei Eckehard reinhängen- alleine kurbele ich den 42 km langen Anstieg hoch. Die Sonne steht jetzt am Höchsten und ich empfinde diesen Anstieg, der auf dem Papier eigentlich der Leichteste ist, als richtig schwer. Später erzählt mir Klaus, dass es ihm genauso ergangen ist.

Endlich, die Passhöhe! Ich halte um zu pausieren. Ich muss was essen. Bislang hatte ich mich nur von Gels ernährt. (Insgesamt 7 bis ins Ziel). Das Laufen fällt schwer. Die Verpflegung ist sehr gut- ich esse so viel ich kann.

Die Abfahrt vom Lukmanier nach Disentis genieße ich in vollen Zügen. Im unteren Teil frisch asphaltiert, fahre ich eine hohe Geschwindigkeit auch in den gut ausgebauten Kurven muss ich nicht reduzieren.

Von Disentis geht die Strecke langsam, stetig bergan bis zum Fuß des Oberalp- Pass. Es läuft richtig gut- wenn ich hochrechne- bisher bin ich noch im Zeitlimit- ahne ich , dass ich den Alpenbrevet rechtzeitig beenden kann. Dies beflügelt mich jetzt zusätzlich. Der Oberalp ist steil- doch nicht sehr lang. Viele Kehren schlängeln sich zum Pass. Je nach Fahrtrichtung gibt es Gegen- oder Rückenwind. Finde ich lustig !
Die Abfahrt nach Andermatt ist die schönste der ganzen Tour. Andermatt muss man um 18:15 erreichen- ich liege fast eine halbe Stunde darunter !
Die gefährlich Abfahrt nach Wassen ließ sich um diese Uhrzeit gut hinunter fahren.
Kaum Verkehr der die rasante Fahrt durch dieses enge Tal bremst.

Ab Wassen beginnt die letzte Prüfung des Tages, der Sustenpass.
15 km ( so meinte ich gelesen zu haben) mit ca. 8 % Steigung- und oben wartet der Scharfrichter: das letzte Zeitlimit (19:50 Uhr) vor dem Ziel.
Ich kam gut rein in den Berg, ja es lief eigentlich erstaunlich gut. Meine Hochrechnungen ergaben 19: 35 bis maximal 19: 45 bei minimal 8 km/h.

Einige Fahrer saßen oder standen am Straßenrand- schüttelten ihre Beine aus.
Ein Fahrer überholte mich mehrmals mit hohem Tempo, um dann wieder an der nächsten Kurve zu stehen!?

Doch langsam beschlich mich ein merkwürdiges Gefühl: die 15 km waren zu Ende und der Pass noch nicht in Sicht. Die neue Hochrechnung war erschütternd- ich würde es nicht mehr bis 19:50 schaffen! Ich erlitt einen richtigen Einbruch und der Tacho zeigte nur noch 6-7 km/h. Ich legte mir schon mal einen Spruch zurecht für die Kommissäre, denn ich war davon überzeugt, dass mir die peniblen Schweizer tatsächlich die Startnummer abnehmen würden, so wie Niko es mir erzählt hatte.
Oder sollte ich einfach durchfahren, denn die 37 km Abfahrt bis Meiringen waren dann noch locker in 1h 25 zu schaffen.
Kurz vor dem Pass motivierte mich noch ein Fahrer mit den Worten: “sind nur noch 150m- nur noch um die Kurve, dann kommt der Tunnel“ .Gemeinsam fuhren wir hindurch.

An der Kontrollstelle (19:54 Uhr) war dann gar keine Rede von Zeit- im Gegenteil- hier konnte ich mich noch einmal gut verpflegen. Ein paar Fahrer waren hier und die Stimmung war gut. Ich war erschöpft und vermutlich fror ich deshalb so bei dieser langen Abfahrt.
Dir Sonne war untergegangen und es wurde schnell kalt.

Ich hatte es geschafft, was ich nicht für möglich gehalten hatte.
Die Einfahrt ins Ziel war einfach schön.
Im Ziel wartete Rüdiger noch auf mich und wir feierten noch bis kurz vor 12.
Klaus, der 40 min vor mir ins Ziel kam, lag schon im Zelt- kam aber noch einmal hervor, damit wir uns gegenseitig gratulieren konnten.
Unter der Dusche traf ich einen Holländer, der 20:30 auf dem Sustenpass ankam und, als er merkte, dass die Veranstalter ihn rauswinken wollten, gleich wieder auf die Strecke ging. In rasanter Abfahrt kam er 5 min zu spät ins Ziel- wurde aber noch gewertet.
Vielleicht waren die Veranstalter wegen des guten Wetters heute etwas großzügiger als im letzten Jahr.
5 Alpenpässe an einem Tag- das schafft nur ein „Bergfahrer“



und der Bericht von Klaus findet sich natürlich auf der FC St Pauli Seite

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