Unfassbar, sagenhaft, traumhaft, haushohes Finale....ich habe nach Synonymen gesucht, um ein passendes Adjektiv zu finden....
05:20 Uhr Mantova- starte ich die finale Tages-Etappe meines alpi4000- Brevets und sie endet einen Tag später um 06:32 auf dem Passo dello Stelvio, dem Stilfser Joch.
Was war bis dahin geschehen:
vier Tage Brevet fahren,
1200 km mit 22500 Hm in den Alpen und weitere 350 flache Kilometer entlang des Pos mit gruseligem Straßenbelag, wenig Schlaf und einem Rennen, dass sich unter uns Schleswig- Holsteinern entwickelt hatte....
Eigentlich bin ich ja nicht der Renn- donneur und bevorzuge eher die Form des Radwanderns, aber das übliche Gerede und Gefrotzel im Vorfelde- man könne sich ja zur Not zu mir zurückfallen lassen- in den Touristen-Modus übergehen, ich kannte das ja schon, hatte mich doch dieses Mal irgendwie angepiekst.
"Wir können uns nicht alles gefallen lassen!", hätte auch Detlef gesagt.
Ich hatte Kontakt zu meiner sportlichen Leitung und so erfuhr ich per SMS die Durchfahrtszeiten der Kollegen.
Am Morgen des 2. Tages war ich in Biella zufällig (?) eine Stunde zu früh aufgestanden- fertig mit Helm und Schuhen setzte ich mich vor Clausto, der auch nicht schlafen konnte, und erklärte ihm, dass ich pünktlich, wie besprochen in 10 Minuten abfahren würde- eine Stunde vor der verabredeten Zeit??
Als sich mein Irrtum aufklärte, wusste ich wirklich nicht, was ich anderes tun konnte, außer loszufahren....nicht ohne das OK von Clausto. Ein gemeinsames Weiterfahren aller vier Holsteiner, hätte sowieso nicht lange Bestand gehabt- das wusste ich.
Diesen Vorsprung versuchte ich nun zu halten bzw. auszubauen. Am Abend des Tages lag ich dann eine halbe Etappe (50km) vor und am Ende des dritten Tages waren es schon 127 km- eine volle Etappenlänge. Aber ich wusste auch, dass die anderen im Flachen, also am 4. Tag, aufholen würden.
So war es dann auch- aus 9 wurden 5, dann 4 Stunden und als ich endlich am Gardasee war, bekam ich die Nachricht: Burschen 1,5 h später in Valeggio sul Mincio angekommen.
Ich war sofort hell wach und voller Körperspannung- das Rennen hatte begonnen. Ich musste den Vorsprung nur bis in die Berge retten und diese kamen bald. Ich fuhr nun auf der westlichen Seite des Garda- Sees. Endlich waren die Straßen gut und glatt. Am oberen Ende des Sees, nach Durchqueren mehrerer Tunnel, endlich der Anstieg nach Tremosine. Was für ein Anstieg!- ein enges eingeschnittenes Tal hinauf- manchmal so eng, dass nur ein Auto passte- mein Rad passte immer durch, denn warten konnte ich nicht. In Tremosine, dem Kontrollort, hielt ich mich nicht länger auf, zwei Bananen für die Trikottasche und los. Essen könnte ich beim Fahren. Ich wollte so schnell, wie möglich auf den Radweg, den ich schon vom Abfahren her kannte, und hinein in den ersten Anstieg zur Passhöhe Valico 1038 m. ü. NN. und in der Abfahrt wartete dann Spormaggiore mit der nächsten Zeitnahme. Ich wollte "den Sack zumachen"- eine Zeitmarke setzen, denn ich ahnte, dass auch die Burschen eine sportliche Leitung hatten, die sie über meine Zeiten informierte. Außerdem hatte sie den Vorteil, dass sie an den Kontrollorten in die Listen schauen konnten. ( Beides bestätigte sich im Nachhinein). In Spormaggiore, nach 210 km und 2700 Hm ( Es waren wohl eher etwas weniger Höhenmeter, denn der Track am Gardasee hatte manchmal eine steile Rampe angezeigt, wo ein Tunnel durchfahren wurde.) angekommen, machte ich meine erste Pause. Risotto, Brot, Käse...aber auch nicht für lange. Und immer wieder traf ich Johannes, den Liegeradfahrer, der mir 2010 eine Speiche gab, und den ich seither immer wieder hier in Italien getroffen habe.
Ich war schon weiter und im Anstieg zum Passo Palade- da kam ein Anruf meiner sportlichen Leitung: " Ich habe dich nicht vergessen- noch keine Regisrierung der Anderen in Tremosine!". Da war der Sack zu- leider aber auch die Körperspannung dahin. "Ich fahre heute noch ins Ziel" war meine Ansage, denn nun fiel mir ein, dass ich ja unter 120 h bleiben wollte. Den Gampenpass konnte ich nun relativ entspannt hinauffahren. Vom Abfahren her wusste ich, dass etwa auf der Hälfte diese Blockhütte stand, bei der man gutes Eis und alkfreies Bier bekam. Dies sollte mein Zwischenziel sein. Der Anstieg zog sich hin- ich schaffte es gerade bei Sonnenuntergang oben zu sein. Ich füllte meine Flaschen noch mit Bergquellwasser und stürzte mich in die rasante Abfahrt- ich wusste ja- hier kann ich laufen lassen. Weitere 1500 Hm waren erklommen. Unten angekommen wartete nun "nur " noch der Schlussanstieg zum Passo dello Stelvio auf mich. Aber der würde es in sich haben- von 250 m auf 2750 m. Inzwischen war es dunkel geworden und ein zweiter, gänzlich anderer Teil dieser Tagesetappe begann.
Den ersten Ort, den ich nach der Abfahrt durchfahre, ist Lana. Es ist warm und in der Innenstadt findet ein Volksfest statt. Livemusik ist zu hören, Menschen queren die Straße- es ist voller Menschen hier. Plötzlich kommt in mir so eine Art Sehnsucht auf, dabei zu sein, vielleicht mit der Familie hier das Konzert anzuhören. Nicht, dass ich das sonst täte, Menschenansammlungen meide ich doch eher- aber diese Sehnsucht war da. War ich in den letzten Tagen zu viel alleine unterwegs? Beim Fahren und auch an den Kontrollstellen, war ich doch überwiegend nur mit mir beschäftigt- da hatte ich wenig Kontakt. Am ersten Tag traf ich ja immer mal wieder die Kollegen aus SH- dann war da Evangelos, der Grieche; ihn sah ich am 2. Tag immer mal wieder bis wir am 3. Tag den Anstieg nach Oropa zusammen hoch fuhren. Das Tempo passte und so blieben wir zunächst bis Biella zusammen und verabredeten dann gemeinsam noch durch die Nacht nach Pavia zu fahren. Das harmonierte recht gut im Flachen- wir wechselten regelmäßig und machten Tempo und wir redeten auch viel. Beides hilft- besonders in der Nacht.
Und dann war da Bernd vom Audax Club Fanconia. Ihn traf ich auch am 3. Tag im Val de Aosta. Hier stemmten wir uns gemeinsam gegen den Wind bis sein Schaltzug riss. "Kein Problem", sagte ich, "Das haben wir in 10 Minuten fertig"- leider nicht, denn er fuhr ein Cervelo´ Solist und die Kabelführung verlief durch den Rahmen. Keine Chance den Zug da wieder heraus zu bekommen.
Er bog ab zum Radladen und am nächsten Morgen in Pavia, nachdem ich gerade aufgestanden war, traf ich Bernd. Er war gerade angekommen- fand mein Rad und legte einen neuen Schaltzug auf den Sattel. Wir fuhren dann gemeinsam nach Kaffee weiter- das Tempo passte nicht ganz, denn er hatte wohl nicht geschlafen....so fuhren wir, bis wir gemeinsam einen Conad- Markt plünderten. Im Schatten speisten wir ausgiebig - viel Obst und Kaninchenkeulen- morgens gegen 9:00 Uhr!
Nach kurzer Weiterfahrt trennten sich dann aber unsere Wege. Vorher hatten wir noch vage verabredet, am Ende des Tages ggf. ein Zimmer in einem Hotel zu teilen. Und das machten wir dann auch- wir telefonierten und verabredeten uns dort in Mantovo, wo ich die letzte Etappe startete. Auch hier trennten sich bald unsere Wege und wir trafen uns erst in Bormio wieder.
(Bernd hat auch einen Bericht geschrieben:http://audax-franconia.de/2018/07/31/alpi-4000-ein-finish-auf-dem-stilfserjoch/)
Lana war bald durchfahren, das Volksfest hinter mir- nur zurück blieb--- ein angenehmes Gefühl.
An Merano vorbei verlief der Track dann auf diesem 4- Sterne - Radweg, den ich ja schon von meiner Erkundungstour her kannte. Ein starker, warmer Rückenwind schob mich nun hinauf, so dass man die geringe Steigung hinauf bis Silandro kaum merkte. Aber da war ja zunächst noch diese eine Rampe, die in Serpentinen extrem steil hinauf führte. Kein Problem dieses Mal- beim letzten Mal hatte ich mit meiner Übersetzung, 34/28, hier arge Probleme. Der volle Mond stieg von Süden her auf und erhellte die Nacht und einige Wolkenfetzen am Himmel. Ich hielt noch einmal an einer Sportsbar für einen Dopio- Americano. Vier Südtiroler (?) saßen vor ihren Maßkrügen Bier und fragen, was das denn für eine Veranstaltung sei. Da sie freundlich und wirklich interessiert waren, setzte ich mich zu ihnen und erzählte. Sie hatten natürlich auch schon andere Fahrer vorbei kommen sehen und es fiel auf- Rennradfahrer mit Gepäck und Lichtanlage. Ich sagte, ich würde heute Nacht noch auf den Stelvio fahren und somit ins Ziel- das war auch ein besonderer Moment für mich. Sie wünschten alles Gute und viel Kraft- sie kannten den Stelvio offensichtlich.
Immer entlang der Adige, die teilweise tosend, dann wieder ruhiger entgegen kommt. Ich steige also- frage mich, wie hoch wohl Silandro, der nächste Kontrollort, liegt- denn die Höhenmeter, die ich hier so mühelos erklimme, kann ich von den 2750 m abziehen.
Dazu und um meine Nachtfahrt zu rekonstruieren muss ich heute den gefahrenen Track bemühen.
Zunächst einmal: Lana liegt auf einer Höhe von 320 m und Silandro auf 820 m. Es sind also 500 Hm, die ich hier auf dem Radweg mühelos steige. Lana durchfahre ich um 21:25 Uhr und der Kaffeestopp am Minigolfplatz, eine halbe Stunde später, dauert nur 11 Minuten- mir kam es länger vor.
Der Kaffee hält nicht lange vor, denn als ich an Naturns vorbei bin, werde ich müde.
Schlafen bevor ich den Stelvio hochfahre, würde Sinn machen, so hatte ich schon vorher gedacht-
den Stelvio so hochfahren, dass ich im Hellen oben bin und auf jeden Fall im Hellen diese Abfahrt nach Bormio mit den Haarnadelkurven hinabfahren. Auf dem Stelvio zu schlafen, wäre auch eine Option- jedoch wäre es dort sicherlich sehr kalt. In Silandro, dem letzten Kontrollpunkt, gab es keine Schlafgelegenheit- also warum nicht schon hier am Radweg ein wenig schlafen- es gab ideale Bedingungen dafür: dazu bot sich bald eine Picknick- Bank am Radweg an. Meine Luftmatratze war schnell aufgepustet und damit legte ich mich oben auf den Tisch. Es war immer noch sehr warm- ich schaute noch eine kleine Weile in den Vollmond- Himmel und schlief eine volle Stunde.
23:50 wachte ich ohne Wecker, den ich auf 00:00 Uhr gestellt hatte, auf.
Bis zum Kontrollpunkt bei Silandro fuhr ich noch eine gute Stunde, mal vor - mal hinter einer kleinen Gruppe von Italienern. Das gab mir etwas Sicherheit, denn ich war immer noch nicht viel wacher.
Südwestlich waren dunkle Wolken und ich sah einen Blitz gefolgt von Donner- dort musste ungefähr der Stelvio sein. Kurz kamen Erinnerungen an TransIowa hoch und ich fürchtete schon, ich könne vielleicht nicht in der Nacht hochfahren.
Als ich an der Kontrollstelle war, fragte ich also gleich die "Einheimischen", ob es Gewitter geben würde und eine etwas ältere Frau winkte gleich ab- war dabei 100% sicher. Wenn man in den Bergen aufgewachsen ist braucht man dazu wohl auch keine App.
Das beruhigte mich gleich. Ich trank einen Pfefferminztee- aß ein wenig Risotto, und saß schon nach 20 Minuten wieder auf dem Rad (01:29 Uhr), weil meine Italiener nun auch ankamen und unglaublich laut waren--das nervte mich in diesem Moment- war wohl sehr dünnhäutig....
Ich hörte von den Helfern noch: " Er will jetzt weiter fahren!" und bekam noch den Tipp- "Trafoi ist aber die letzte Ortschaft vor dem Gipfel" und wünschten "alles Gute für die Weiterfahrt".
In Spormaggio war ich etwa als 100ster angekommen- so die Liste- mich hatten wenige überholt und hier saßen und schliefen etwa 20-30 Fahrer. Ich wollte, jetzt auch unbedingt durchfahren ins Ziel und hätte dann wohl auch noch eine gute Platzierung.
Hinter der Kontrollstelle kam dann noch diese Schotterpiste :-)) und einige Apfelplantagen, wo Wassersprenger ihren Dienst taten und ich wieder mal Slalom fahren musste- denn diese Abkühlung war jetzt nicht mehr willkommen.
Dann war ich endlich in Prad und nun begann der finale Anstieg. Wieder überkam mich eine große Müdigkeit und mich blendete mein eigenes Licht- die Augen fingen an zu klimpern. Ich schaltet das Licht aus- fuhr hinten nur noch mit Batterielicht und vorne mit der Stirnlampe, die ich gedimmt so einstellte, dass sie nicht vor das Vorderrad leuchtete. Die Nacht war sowieso durch den Vollmond hell genug. Als ich durch Gomagoi (1247 m.ü.NN.) fuhr, das ist noch vor Trafoi, kam ich an einem Hotel vorbei mit Liegestühlen und einer Bank mit einem großen Kissen- da konnte ich ja nicht anders....und schon lag ich auf der Bank und schlief sofort ein. Ich hatte keinen Wecker gestellt- wachte aber schon nach einer halben Stunde wieder auf und wollte weiterfahren.
Jedoch mein rechtes Knie gehörte mir nicht mehr- es funktionierte einfach nicht mehr!!!
Ich humpelte zum Rad, setzte mich darauf und versuchte zu fahren und es ging....und schon nach wenigen Metern war alles wieder in Ordnung und ich konnte mein Finale fortsetzen- das war um 03:34 Uhr. Nun begannen die Kehren- es war nur noch steil- jedoch, ich musste nicht noch einmal anhalten und konnte alle Kehren mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 5, 5 km/h durchfahren.
Ich war jetzt auch nicht mehr müde- die Kehren herunter zu zählen war vielleicht Abwechslung genug- ich fing an die letzten Kilometer des Brevets zu genießen. Als es gegen 05:00 Uhr langsam dämmerte, kam im Süd- Osten langsam die Ortler- Gruppe zum Vorschein- dann ging irgendwann die Sonne auf. Besser hätte der Zeitpunkt der Besteigung nicht sein können- alles erinnerte mich tatsächlich an eine Bergbesteigung- auch das Tempo! Auch hatte ich kaum Verkehr, auf dieser sonst wohl, wie ich später von den anderen hörte, stark von Rasern genutzten Straße. Mich überholten lediglich eine Corvette, die hier nachts die Kehren hochbretterte. Man hörte die Corvette schon von ganz unten- Vollgas- Kehre mit Zwischengas- Vollgas- Kehre usw. Dann waren da noch 4 Motorräder und ein Müllwagen. Gut, so konnte ich manches Mal auf der Straße Serpentinen fahren, um die steilsten Spitzen etwas leichter zu machen.
Irgendwann war es dann soweit: 9, 8, 7, 6..... im Ziel...ich streckte die Faust in den Himmel- und noch einmal beide Arme in der gleichen Pose.
06:32 Uhr- 119 h und 14 min meine Zeit
Mir wurde gleich kalt. Ich zog alles über, was ich hatte und trank einen heißen Tee.
05:20 Uhr Mantova- starte ich die finale Tages-Etappe meines alpi4000- Brevets und sie endet einen Tag später um 06:32 auf dem Passo dello Stelvio, dem Stilfser Joch.
Was war bis dahin geschehen:
vier Tage Brevet fahren,
1200 km mit 22500 Hm in den Alpen und weitere 350 flache Kilometer entlang des Pos mit gruseligem Straßenbelag, wenig Schlaf und einem Rennen, dass sich unter uns Schleswig- Holsteinern entwickelt hatte....
Eigentlich bin ich ja nicht der Renn- donneur und bevorzuge eher die Form des Radwanderns, aber das übliche Gerede und Gefrotzel im Vorfelde- man könne sich ja zur Not zu mir zurückfallen lassen- in den Touristen-Modus übergehen, ich kannte das ja schon, hatte mich doch dieses Mal irgendwie angepiekst.
"Wir können uns nicht alles gefallen lassen!", hätte auch Detlef gesagt.
Ich hatte Kontakt zu meiner sportlichen Leitung und so erfuhr ich per SMS die Durchfahrtszeiten der Kollegen.
Am Morgen des 2. Tages war ich in Biella zufällig (?) eine Stunde zu früh aufgestanden- fertig mit Helm und Schuhen setzte ich mich vor Clausto, der auch nicht schlafen konnte, und erklärte ihm, dass ich pünktlich, wie besprochen in 10 Minuten abfahren würde- eine Stunde vor der verabredeten Zeit??
Als sich mein Irrtum aufklärte, wusste ich wirklich nicht, was ich anderes tun konnte, außer loszufahren....nicht ohne das OK von Clausto. Ein gemeinsames Weiterfahren aller vier Holsteiner, hätte sowieso nicht lange Bestand gehabt- das wusste ich.
Diesen Vorsprung versuchte ich nun zu halten bzw. auszubauen. Am Abend des Tages lag ich dann eine halbe Etappe (50km) vor und am Ende des dritten Tages waren es schon 127 km- eine volle Etappenlänge. Aber ich wusste auch, dass die anderen im Flachen, also am 4. Tag, aufholen würden.
So war es dann auch- aus 9 wurden 5, dann 4 Stunden und als ich endlich am Gardasee war, bekam ich die Nachricht: Burschen 1,5 h später in Valeggio sul Mincio angekommen.
Ich war sofort hell wach und voller Körperspannung- das Rennen hatte begonnen. Ich musste den Vorsprung nur bis in die Berge retten und diese kamen bald. Ich fuhr nun auf der westlichen Seite des Garda- Sees. Endlich waren die Straßen gut und glatt. Am oberen Ende des Sees, nach Durchqueren mehrerer Tunnel, endlich der Anstieg nach Tremosine. Was für ein Anstieg!- ein enges eingeschnittenes Tal hinauf- manchmal so eng, dass nur ein Auto passte- mein Rad passte immer durch, denn warten konnte ich nicht. In Tremosine, dem Kontrollort, hielt ich mich nicht länger auf, zwei Bananen für die Trikottasche und los. Essen könnte ich beim Fahren. Ich wollte so schnell, wie möglich auf den Radweg, den ich schon vom Abfahren her kannte, und hinein in den ersten Anstieg zur Passhöhe Valico 1038 m. ü. NN. und in der Abfahrt wartete dann Spormaggiore mit der nächsten Zeitnahme. Ich wollte "den Sack zumachen"- eine Zeitmarke setzen, denn ich ahnte, dass auch die Burschen eine sportliche Leitung hatten, die sie über meine Zeiten informierte. Außerdem hatte sie den Vorteil, dass sie an den Kontrollorten in die Listen schauen konnten. ( Beides bestätigte sich im Nachhinein). In Spormaggiore, nach 210 km und 2700 Hm ( Es waren wohl eher etwas weniger Höhenmeter, denn der Track am Gardasee hatte manchmal eine steile Rampe angezeigt, wo ein Tunnel durchfahren wurde.) angekommen, machte ich meine erste Pause. Risotto, Brot, Käse...aber auch nicht für lange. Und immer wieder traf ich Johannes, den Liegeradfahrer, der mir 2010 eine Speiche gab, und den ich seither immer wieder hier in Italien getroffen habe.
Ich war schon weiter und im Anstieg zum Passo Palade- da kam ein Anruf meiner sportlichen Leitung: " Ich habe dich nicht vergessen- noch keine Regisrierung der Anderen in Tremosine!". Da war der Sack zu- leider aber auch die Körperspannung dahin. "Ich fahre heute noch ins Ziel" war meine Ansage, denn nun fiel mir ein, dass ich ja unter 120 h bleiben wollte. Den Gampenpass konnte ich nun relativ entspannt hinauffahren. Vom Abfahren her wusste ich, dass etwa auf der Hälfte diese Blockhütte stand, bei der man gutes Eis und alkfreies Bier bekam. Dies sollte mein Zwischenziel sein. Der Anstieg zog sich hin- ich schaffte es gerade bei Sonnenuntergang oben zu sein. Ich füllte meine Flaschen noch mit Bergquellwasser und stürzte mich in die rasante Abfahrt- ich wusste ja- hier kann ich laufen lassen. Weitere 1500 Hm waren erklommen. Unten angekommen wartete nun "nur " noch der Schlussanstieg zum Passo dello Stelvio auf mich. Aber der würde es in sich haben- von 250 m auf 2750 m. Inzwischen war es dunkel geworden und ein zweiter, gänzlich anderer Teil dieser Tagesetappe begann.
Den ersten Ort, den ich nach der Abfahrt durchfahre, ist Lana. Es ist warm und in der Innenstadt findet ein Volksfest statt. Livemusik ist zu hören, Menschen queren die Straße- es ist voller Menschen hier. Plötzlich kommt in mir so eine Art Sehnsucht auf, dabei zu sein, vielleicht mit der Familie hier das Konzert anzuhören. Nicht, dass ich das sonst täte, Menschenansammlungen meide ich doch eher- aber diese Sehnsucht war da. War ich in den letzten Tagen zu viel alleine unterwegs? Beim Fahren und auch an den Kontrollstellen, war ich doch überwiegend nur mit mir beschäftigt- da hatte ich wenig Kontakt. Am ersten Tag traf ich ja immer mal wieder die Kollegen aus SH- dann war da Evangelos, der Grieche; ihn sah ich am 2. Tag immer mal wieder bis wir am 3. Tag den Anstieg nach Oropa zusammen hoch fuhren. Das Tempo passte und so blieben wir zunächst bis Biella zusammen und verabredeten dann gemeinsam noch durch die Nacht nach Pavia zu fahren. Das harmonierte recht gut im Flachen- wir wechselten regelmäßig und machten Tempo und wir redeten auch viel. Beides hilft- besonders in der Nacht.
Und dann war da Bernd vom Audax Club Fanconia. Ihn traf ich auch am 3. Tag im Val de Aosta. Hier stemmten wir uns gemeinsam gegen den Wind bis sein Schaltzug riss. "Kein Problem", sagte ich, "Das haben wir in 10 Minuten fertig"- leider nicht, denn er fuhr ein Cervelo´ Solist und die Kabelführung verlief durch den Rahmen. Keine Chance den Zug da wieder heraus zu bekommen.
Er bog ab zum Radladen und am nächsten Morgen in Pavia, nachdem ich gerade aufgestanden war, traf ich Bernd. Er war gerade angekommen- fand mein Rad und legte einen neuen Schaltzug auf den Sattel. Wir fuhren dann gemeinsam nach Kaffee weiter- das Tempo passte nicht ganz, denn er hatte wohl nicht geschlafen....so fuhren wir, bis wir gemeinsam einen Conad- Markt plünderten. Im Schatten speisten wir ausgiebig - viel Obst und Kaninchenkeulen- morgens gegen 9:00 Uhr!
Nach kurzer Weiterfahrt trennten sich dann aber unsere Wege. Vorher hatten wir noch vage verabredet, am Ende des Tages ggf. ein Zimmer in einem Hotel zu teilen. Und das machten wir dann auch- wir telefonierten und verabredeten uns dort in Mantovo, wo ich die letzte Etappe startete. Auch hier trennten sich bald unsere Wege und wir trafen uns erst in Bormio wieder.
(Bernd hat auch einen Bericht geschrieben:http://audax-franconia.de/2018/07/31/alpi-4000-ein-finish-auf-dem-stilfserjoch/)
Lana war bald durchfahren, das Volksfest hinter mir- nur zurück blieb--- ein angenehmes Gefühl.
An Merano vorbei verlief der Track dann auf diesem 4- Sterne - Radweg, den ich ja schon von meiner Erkundungstour her kannte. Ein starker, warmer Rückenwind schob mich nun hinauf, so dass man die geringe Steigung hinauf bis Silandro kaum merkte. Aber da war ja zunächst noch diese eine Rampe, die in Serpentinen extrem steil hinauf führte. Kein Problem dieses Mal- beim letzten Mal hatte ich mit meiner Übersetzung, 34/28, hier arge Probleme. Der volle Mond stieg von Süden her auf und erhellte die Nacht und einige Wolkenfetzen am Himmel. Ich hielt noch einmal an einer Sportsbar für einen Dopio- Americano. Vier Südtiroler (?) saßen vor ihren Maßkrügen Bier und fragen, was das denn für eine Veranstaltung sei. Da sie freundlich und wirklich interessiert waren, setzte ich mich zu ihnen und erzählte. Sie hatten natürlich auch schon andere Fahrer vorbei kommen sehen und es fiel auf- Rennradfahrer mit Gepäck und Lichtanlage. Ich sagte, ich würde heute Nacht noch auf den Stelvio fahren und somit ins Ziel- das war auch ein besonderer Moment für mich. Sie wünschten alles Gute und viel Kraft- sie kannten den Stelvio offensichtlich.
Immer entlang der Adige, die teilweise tosend, dann wieder ruhiger entgegen kommt. Ich steige also- frage mich, wie hoch wohl Silandro, der nächste Kontrollort, liegt- denn die Höhenmeter, die ich hier so mühelos erklimme, kann ich von den 2750 m abziehen.
Dazu und um meine Nachtfahrt zu rekonstruieren muss ich heute den gefahrenen Track bemühen.
Zunächst einmal: Lana liegt auf einer Höhe von 320 m und Silandro auf 820 m. Es sind also 500 Hm, die ich hier auf dem Radweg mühelos steige. Lana durchfahre ich um 21:25 Uhr und der Kaffeestopp am Minigolfplatz, eine halbe Stunde später, dauert nur 11 Minuten- mir kam es länger vor.
Der Kaffee hält nicht lange vor, denn als ich an Naturns vorbei bin, werde ich müde.
Schlafen bevor ich den Stelvio hochfahre, würde Sinn machen, so hatte ich schon vorher gedacht-
den Stelvio so hochfahren, dass ich im Hellen oben bin und auf jeden Fall im Hellen diese Abfahrt nach Bormio mit den Haarnadelkurven hinabfahren. Auf dem Stelvio zu schlafen, wäre auch eine Option- jedoch wäre es dort sicherlich sehr kalt. In Silandro, dem letzten Kontrollpunkt, gab es keine Schlafgelegenheit- also warum nicht schon hier am Radweg ein wenig schlafen- es gab ideale Bedingungen dafür: dazu bot sich bald eine Picknick- Bank am Radweg an. Meine Luftmatratze war schnell aufgepustet und damit legte ich mich oben auf den Tisch. Es war immer noch sehr warm- ich schaute noch eine kleine Weile in den Vollmond- Himmel und schlief eine volle Stunde.
23:50 wachte ich ohne Wecker, den ich auf 00:00 Uhr gestellt hatte, auf.
Bis zum Kontrollpunkt bei Silandro fuhr ich noch eine gute Stunde, mal vor - mal hinter einer kleinen Gruppe von Italienern. Das gab mir etwas Sicherheit, denn ich war immer noch nicht viel wacher.
Südwestlich waren dunkle Wolken und ich sah einen Blitz gefolgt von Donner- dort musste ungefähr der Stelvio sein. Kurz kamen Erinnerungen an TransIowa hoch und ich fürchtete schon, ich könne vielleicht nicht in der Nacht hochfahren.
Als ich an der Kontrollstelle war, fragte ich also gleich die "Einheimischen", ob es Gewitter geben würde und eine etwas ältere Frau winkte gleich ab- war dabei 100% sicher. Wenn man in den Bergen aufgewachsen ist braucht man dazu wohl auch keine App.
Das beruhigte mich gleich. Ich trank einen Pfefferminztee- aß ein wenig Risotto, und saß schon nach 20 Minuten wieder auf dem Rad (01:29 Uhr), weil meine Italiener nun auch ankamen und unglaublich laut waren--das nervte mich in diesem Moment- war wohl sehr dünnhäutig....
Ich hörte von den Helfern noch: " Er will jetzt weiter fahren!" und bekam noch den Tipp- "Trafoi ist aber die letzte Ortschaft vor dem Gipfel" und wünschten "alles Gute für die Weiterfahrt".
hier Archiv-Foto |
Hinter der Kontrollstelle kam dann noch diese Schotterpiste :-)) und einige Apfelplantagen, wo Wassersprenger ihren Dienst taten und ich wieder mal Slalom fahren musste- denn diese Abkühlung war jetzt nicht mehr willkommen.
Dann war ich endlich in Prad und nun begann der finale Anstieg. Wieder überkam mich eine große Müdigkeit und mich blendete mein eigenes Licht- die Augen fingen an zu klimpern. Ich schaltet das Licht aus- fuhr hinten nur noch mit Batterielicht und vorne mit der Stirnlampe, die ich gedimmt so einstellte, dass sie nicht vor das Vorderrad leuchtete. Die Nacht war sowieso durch den Vollmond hell genug. Als ich durch Gomagoi (1247 m.ü.NN.) fuhr, das ist noch vor Trafoi, kam ich an einem Hotel vorbei mit Liegestühlen und einer Bank mit einem großen Kissen- da konnte ich ja nicht anders....und schon lag ich auf der Bank und schlief sofort ein. Ich hatte keinen Wecker gestellt- wachte aber schon nach einer halben Stunde wieder auf und wollte weiterfahren.
Jedoch mein rechtes Knie gehörte mir nicht mehr- es funktionierte einfach nicht mehr!!!
Ich humpelte zum Rad, setzte mich darauf und versuchte zu fahren und es ging....und schon nach wenigen Metern war alles wieder in Ordnung und ich konnte mein Finale fortsetzen- das war um 03:34 Uhr. Nun begannen die Kehren- es war nur noch steil- jedoch, ich musste nicht noch einmal anhalten und konnte alle Kehren mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 5, 5 km/h durchfahren.
Ich war jetzt auch nicht mehr müde- die Kehren herunter zu zählen war vielleicht Abwechslung genug- ich fing an die letzten Kilometer des Brevets zu genießen. Als es gegen 05:00 Uhr langsam dämmerte, kam im Süd- Osten langsam die Ortler- Gruppe zum Vorschein- dann ging irgendwann die Sonne auf. Besser hätte der Zeitpunkt der Besteigung nicht sein können- alles erinnerte mich tatsächlich an eine Bergbesteigung- auch das Tempo! Auch hatte ich kaum Verkehr, auf dieser sonst wohl, wie ich später von den anderen hörte, stark von Rasern genutzten Straße. Mich überholten lediglich eine Corvette, die hier nachts die Kehren hochbretterte. Man hörte die Corvette schon von ganz unten- Vollgas- Kehre mit Zwischengas- Vollgas- Kehre usw. Dann waren da noch 4 Motorräder und ein Müllwagen. Gut, so konnte ich manches Mal auf der Straße Serpentinen fahren, um die steilsten Spitzen etwas leichter zu machen.
Irgendwann war es dann soweit: 9, 8, 7, 6..... im Ziel...ich streckte die Faust in den Himmel- und noch einmal beide Arme in der gleichen Pose.
06:32 Uhr- 119 h und 14 min meine Zeit
Mir wurde gleich kalt. Ich zog alles über, was ich hatte und trank einen heißen Tee.